Die Liturgie dieses 7. Sonntags im Jahreskreis führt uns in die grundlegende Berufung unseres Lebens ein: die Reife der Liebe. Jede Lesung wird uns wesentliche Elemente zum Verständnis der wirklichen, gelebten und leibhaftigen Liebe vor Augen führen, und das Evangelium wird uns den Sohn Gottes selbst, Jesus Christus, vorstellen, der Ausdruck der Gesamtheit der göttlichen Liebe ist.
In unserer ersten Etappe finden wir das Buch Samuel, das von der Verfolgung Davids durch Saul berichtet. Saul ist der König von Israel und eifersüchtig auf David, da dieser für das Volk immer wichtiger wird, während der König in seinen Sünden untergeht. Der Text lautet: „Zu jener Zeit machte sich Saul mit dreitausend Mann, ausgesuchten Kriegern aus Israel, auf den Weg und zog in die Wüste von Sif hinab, um dort nach David zu suchen. (…) 7So kamen David und Abischai in der Nacht zu den Leuten und siehe, Saul lag mitten im Lager und schlief; sein Speer steckte neben seinem Kopf in der Erde und rings um ihn schliefen Abner und seine Leute. 8 Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand ausgeliefert. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür. 9 David aber erwiderte Abischai: Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des HERRN erhoben und ist ungestraft geblieben? (…) 12David nahm den Speer und den Wasserkrug, die neben Sauls Kopf waren, und sie gingen weg. Niemand sah und niemand bemerkte etwas und keiner wachte auf; alle schliefen, denn der HERR hatte sie in einen tiefen Schlaf fallen lassen. “ (1Sam 26:2, 7-9. 12-13).
„Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des HERRN erhoben und ist ungestraft geblieben?“
Zunächst ist die Diskrepanz zwischen den Gefühlen in Sauls und Davids Herz zu beachten. Ersterer ist von dem Wunsch beseelt, David zu beseitigen, ihn aus der Existenz zu entfernen, während David von der Furcht des Herrn ergriffen ist, die in der Heiligen Schrift als Prinzip der Weisheit bezeichnet wird (vgl. Spr 9,10). David erhebt nicht die Hand gegen Saul, denn obwohl er von bösen Gefühlen ergriffen ist, ist er der König, der Gesalbte Gottes. Der Text fährt fort: „13David ging auf die andere Seite hinüber und stellte sich in größerer Entfernung auf den Gipfel des Berges, sodass ein weiter Zwischenraum zwischen ihnen war. David antwortete: „Seht her, hier ist der Speer des Königs. Einer von den jungen Männern soll herüberkommen und ihn holen. 23 Der HERR wird jedem seine Gerechtigkeit und Treue vergelten. Obwohl dich der HERR heute in meine Hand gegeben hatte, wollte ich meine Hand nicht an den Gesalbten des HERRN legen.“ (1Sam 26:22-23). In diesen Worten sehen wir, dass David, obwohl er Gründe hat, denjenigen loszuwerden, der ihn verfolgt, von einem religiösen Grund bewegt wird:
David lebt vor dem göttlichen Blick und nicht vor dem Blick der Menschen.
Psalm 103, fast wie eine Fortsetzung der ersten Lesung, richtet unseren Blick auf Gott, singt und feiert seine Liebe, eine Liebe, die in Davids Herzen gegenwärtig ist: „Preise den HERRN, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen! 3 Der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt, 4 der dein Leben vor dem Untergang rettet und dich mit Huld und Erbarmen krönt“ (Ps 103,1-4). In diesen Worten wird die göttliche Liebe vor allem wegen ihres barmherzigen Charakters gepriesen, das heißt, weil sie den Menschen in seinem Tod berührt und ihn durch Vergebung wieder zum Leben erweckt. Aber der Psalmist möchte noch mehr bekräftigen: Der Herr handelt nicht nur barmherzig und freundlich, er ist die Güte selbst, die Nachsicht, die Barmherzigkeit, die Vergebung: „8Der HERR ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Huld. … 10Er handelt an uns nicht nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Schuld.“ (Ps 103,8.10). Die folgenden Verse unterstreichen ein Merkmal der göttlichen Liebe, das Gottes barmherzige Gerechtigkeit hervorhebt: „12So weit der Aufgang entfernt ist vom Untergang, so weit entfernt er von uns unsere Frevel. 13 Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über alle, die ihn fürchten.“ (Ps 103,12-13). Der Herr sieht in seiner vollkommenen Liebe den Menschen und unterscheidet ihn von seiner Schuld. Mit anderen Worten: Gott verurteilt das Böse, will den Menschen aber gerade dadurch retten, dass er ihn von dem begangenen Bösen abbringt. Die Vergebung kann nur dann authentisch sein, wenn der Vergebende die Würde des Täters versteht und über seine bösen Taten hinausgeht, so als ob er ihn von dem begangenen Übel trennen würde. Andererseits kann Vergebung nur dann authentisch empfangen werden, wenn sie mit dem Wunsch einhergeht, sich von dem begangenen Übel zu lösen. Auf diese Weise hilft uns der Psalm zu verstehen, dass die Vergebung ein wesentlicher Bestandteil der göttlichen Liebe ist. Indem er uns die göttliche Liebe vorstellt, lehrt uns der Psalm, dass es keine authentische Erfahrung der Liebe gibt, wenn sie nicht theologisch ist, das heißt, wenn sie nicht von Gott ausgeht, der die eigentliche Quelle der Liebe ist.
Der Herr sieht in seiner vollkommenen Liebe den Menschen und unterscheidet ihn von seiner Schuld. Mit anderen Worten: Gott verurteilt das Böse, will den Menschen aber gerade dadurch retten, dass er ihn von dem begangenen Bösen abbringt.
Die zweite Lesung schließt sich dem Psalm an und weist darauf hin, dass der Mensch von Gott aus neu beginnen muss, um ein neuer Mensch zu werden, der fähig ist, seine eigene Sendung in Liebe zu erfüllen. „45 So steht es auch in der Schrift: Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam wurde lebendig machender Geist. 46 Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. 47 Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel.“ (1 Kor 15,45-47).
Mit anderen Worten, wir alle spiegeln von Geburt an das Bild des irdischen Menschen, Adam, wider. Christus aber, der himmlische Mensch, kam vom Himmel herab, um Adam und in ihm alle Menschen zu erlösen.
Die gesamte Lehre des Paulus geht in dieser Lesung von der Beziehung zwischen Adam und Christus aus. Der erste ist der natürliche Mensch, daher wird er auch irdisch genannt. Tatsächlich kommt der Name Adam von adamah, was Erde, Lehm bedeutet, während Jesus der Sohn Gottes ist, der von der Ewigkeit auf die Erde herabsteigt. Der erste ist die Frucht des göttlichen Willens, aber aufgrund seiner eigenen Neigung zum Bösen, er ist erlösungsbedürftig. Der zweite ist göttlicher Natur, er ist Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, erzeugt und nicht geschaffen, wesensgleich mit dem Vater. Aus diesem Grund wird die erste als irdisch und die zweite als himmlisch bezeichnet. So geht Paulus von der Beziehung zu Adam-Christus zur Beziehung zwischen irdischen und himmlischen Menschen über: „48 Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. 49 Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.“ (1 Kor 15,48-49). Mit anderen Worten, wir alle spiegeln von Geburt an das Bild des irdischen Menschen, Adam, wider. Christus aber, der himmlische Mensch, kam vom Himmel herab, um Adam und in ihm alle Menschen zu erlösen. Daher beschränkt sich unsere Berufung nicht darauf, das Ebenbild Adams zu besitzen, sondern das Ebenbild Christi, von dem und für den wir geschaffen wurden.
„Das Leiden Christi bezeugt seine ganze Lehre und ist der Beweis für die Liebe, die jeden Hass besiegt.“
Das heutige Evangelium stellt uns den Herrn selbst, Jesus Christus, vor, der seine Jünger über die göttliche Liebe unterrichtet. So heißt es im Lukasevangelium: Damals sagte Jesus zu seinen Jüngern: 27 IEuch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! 28 Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! 29 Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! 30 Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ (Lk 6,27-31). Die Worte des Herrn sind in dem den Semiten eigenen Stil eine Aufforderung zur Großzügigkeit, Böses mit Gutem zu vergelten; es ist die Gewissheit, dass „die Liebe eine Vielzahl von Sünden bedeckt“ (Petr 4,8; vgl. Spr 10,12). Der Herr Jesus lehrte diese Wahrheit und lebte sie logischerweise auch bis zu den letzten Konsequenzen. Das Leiden Christi bezeugt seine ganze Lehre und ist der Beweis für die Liebe, die jeden Hass besiegt. Hier ist der Grund, warum der Herr weitermacht: „32Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. 33 Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. 34 Und wenn ihr denen Geld leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern, um das Gleiche zurückzubekommen. 35 Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lk 6,32-36).
„Barmherzig zu werden, wie Gott es ist, bedeutet, von Gott diese Liebe als Geschenk zu empfangen, die nicht aus unserer reinen Anstrengung erwächst, sondern aus seiner Gnade, die wir anzunehmen versuchen.“
Jesus gibt uns nicht ein menschliches, sondern ein göttliches Maß. Barmherzig zu werden, wie Gott es ist, bedeutet, von Gott diese Liebe als Geschenk zu empfangen, die nicht aus unserer reinen Anstrengung erwächst, sondern aus seiner Gnade, die wir anzunehmen versuchen. Darin verwirklicht sich die Ähnlichkeit des Menschen mit Jesus in der Entsprechung zur empfangenen Liebe. Schließlich helfen uns die letzten Worte dieses Evangeliums, unsere Haltung zu überdenken: „37 Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden! 38 Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden.“ (Lk 6,37-38).
Es liegt am Menschen, wie David unter dem göttlichen Blick zu leben und das zu erfüllen, was der Herr ihm befiehlt, nämlich: großzügige Liebe. Das Wohl des anderen zu suchen bedeutet, sich dem Guten zu öffnen, sich Gott zu öffnen.
Wie die barmherzige Liebe Gottes kann auch der Jünger Christi nicht beim juristischen Handeln stehen bleiben: beim Richten und Verurteilen, sondern muss darüber hinausgehen und in allem das Heil der Betroffenen suchen. Hier kommen wir jedoch zu einem grundlegenden Punkt, der uns mit der ersten Lesung verbindet. Trotz all seiner Bemühungen kann der Mensch nicht retten; dies ist allein Sache Gottes. Es liegt am Menschen, wie David unter dem göttlichen Blick zu leben und das zu erfüllen, was der Herr ihm befiehlt, nämlich: großzügige Liebe. Das Wohl des anderen zu suchen bedeutet, sich dem Guten zu öffnen, sich Gott zu öffnen. Auf diese Weise ist die Aufforderung zur Barmherzigkeit dem Menschen nicht äußerlich, sondern ihm innewohnend. Es ist eine Einladung, die Barmherzigkeit zu erfahren, die von Gott kommt. Während derjenige, der im Urteil und in der Verurteilung des anderen erstarrt, den anderen in seiner Schlechtigkeit für versteinert hält, also für unfähig, sich zu bessern, sieht Gott uns nicht so an, sondern kommt uns entgegen und ruft uns auf, unsere Berufung zu leben. Die konkreteste Tatsache, die die göttliche Bewegung auf uns zu zeigt, ist die Menschwerdung des Gottessohnes, sind die göttlichen Worte, die Christus an uns richtet, damit wir unsere Sünden bereuen und in ihm das neue, himmlische Leben leben (wie Paulus uns lehrt).
Der Jünger Christi erkennt die Wahrheit und weiß sie von der Lüge zu unterscheiden; er weiß, dass der sündige und unbußfertige Mensch objektiv die Annahme seines eigenen Heils aufs Spiel setzt; er weiß aber auch, dass er nicht der Richter der Geschichte ist, und er wird alles tun, mit Worten, mit dem Leben, mit dem Gebet, mit der Buße, damit die göttliche Barmherzigkeit in jedem menschlichen Herzen Raum findet, auch in seinem eigenen, damit der Herr das Wunder der Vergebung, das heißt der „Vergebung unserer Sünden“ (vgl. Ps 103,12), wirkt. Vergebung ist nur möglich, wenn der Mensch bereit ist, sich von seinen Fehlern reinigen zu lassen und so ein neues Leben in Jesus Christus, unserem Herrn, zu beginnen. Amen!
Elton Alves, Missionar der Lebensgemeinschaft der Kath. Gemeinschaft Shalom, Verheiratet, Theologe und Promovierender in der Theologischen Fakultät in Lugano, Schweiz