„Der HERR beschützt die Fremden, / er hilft auf den Waisen und Witwen“ (Ps 146,9).
In der Liturgie dieses 32. Sonntags im Jahreskreis betrachten wir das göttliche Handeln, das einmal mehr die Stolzen verwirrt und von ihrem Thron stürzt und die Demütigen erhöht, die nur Gott als Schutz hatten.
Die erste Lesung stammt aus 1. Könige 17,10-16. Wir befinden uns am Anfang des so genannten Elia-Zyklus, der damit beginnt, dass er vor König Ahab eine Dürre ankündigt, die Israel heimsuchen wird (vgl. 1 Könige 17,1). Im vorangegangenen Kapitel des Buches der Könige wurden zwei Personen vorgestellt, die als Antagonisten im Elias-Zyklus eine große Rolle spielen werden; es handelt sich dabei um: Ahab und Isebel. Das Buch der Könige stellt sie so vor: „29 Ahab, der Sohn Omris, wurde König von Israel im achtunddreißigsten Jahr des Königs Asa von Juda. Er regierte in Samaria zweiundzwanzig Jahre über Israel 30 und tat, was böse war in den Augen des HERRN, mehr als alle seine Vorgänger. 31 Es war noch das Wenigste, dass er an den Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, festhielt. Er nahm Isebel, die Tochter Etbaals, des Königs der Sidonier, zur Frau, ging hin, diente dem Baal und warf sich vor ihm nieder. 32 Im Baalstempel, den er in Samaria baute, errichtete er einen Altar für den Baal. 33 Auch stellte er einen Kultpfahl auf und tat noch vieles andere, womit er den HERRN, den Gott Israels, mehr erzürnte als alle Könige Israels vor ihm.“ (1Kön 16,29-33). Diese Verse, die dem Elia-Zyklus vorausgehen, sind wichtig, um die Ernsthaftigkeit des Geschehens zu verstehen. Baal, der kanaanäische Gott, der von Ahab und Isebel verehrt wurde, gilt als Gott der Ernte und der Fruchtbarkeit. Angesichts der Anbetung des Baals durch den König von Israel greift der Gott Israels mit der Dürre ein, die nicht so sehr eine göttliche Strafe für die Sünden des Königs ist, sondern vielmehr eine Möglichkeit für den Herrn, seine Souveränität zu zeigen und zu beweisen, wer der wahre Gott des Lebens ist1.
Zunächst richtet sich das Wort des Herrn an Elia: „Geh weg von hier, wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Kerit östlich des Jordan! 4 Aus dem Bach sollst du trinken und den Raben habe ich befohlen, dass sie dich dort ernähren.“ (1Kön 17,3-4). Elia reagiert sofort auf das göttliche Wort und reift so in seinem Gehorsam gegenüber Gott. Doch siehe da, der Strom versiegt, und wieder ergeht das göttliche Wort an Elia: „9 Mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleib dort! Ich habe dort einer Witwe befohlen, dich zu versorgen.“ (1Kön 17,9).
Wenn sich schon das erste göttliche Wort jeder menschlichen Logik entzieht, so ist das zweite noch radikaler: von einer Witwe in einer Zeit der Not unterstützt zu werden.
Witwenschaft deutet in der Antike, von seltenen Ausnahmen abgesehen, fast sofort auf einen Zustand der Armut und sozialen Schwäche hin, da sie von ihrem Ehemann unterstützt und geschützt wurde. Dennoch erfüllt Elia den göttlichen Willen, indem er nach Sarepta in Sidon geht. Dieser Ort ist nicht zufällig. Sarepta ist eine kleine Stadt an der phönizischen Küste, etwa 15 Kilometer südlich von Sidon. Sie gehörte Etbaal, dem Vater Isebels und König von Sidon. Das bedeutet, dass Gott Elia in die Heimat des Gottes Ba’al und der Königin Isebel schickt (16:31)2. Auf diese Weise präsentiert uns der biblische Text einen großen Kontrast: eine anonyme Witwe und die Königin Isebel. Die erste gilt als Symbol für Schwäche und Armut; sie ist die am wenigsten geeignete Person, um dem Propheten zu helfen. Die zweite ist eine mächtige Königin.
Der Text sagt: „10Er machte sich auf und ging nach Sarepta. Als er an das Stadttor kam, traf er dort eine Witwe, die Holz auflas. Er bat sie: Bring mir in einem Gefäß ein wenig Wasser zum Trinken!'“ (1Könige 17:10). Elia führt den Auftrag aus, den er erhalten hat (V. lOa), trifft die Witwe und bittet sie um Wasser mit einer Frage, die die Verfügbarkeit der Frau beweisen soll3 (vgl. Gen 24,14). In V. 11 wird Elias Bitte anspruchsvoller und schließt auch Nahrung ein: „11Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit!'“ (1Kön 17:11). Angesichts dieser anspruchsvollen Bitte spricht die Frau deutliche Worte: „12Doch sie sagte: So wahr der HERR, dein Gott, lebt: Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug.“ (1Könige 17:12a).
Die Witwe von Sarepta ruft in einer Schwurformel ausdrücklich „Jhwh, deinen Gott“ an. Das heißt, was sie beteuert, schwört sie bei dem Gott Israels, der die Wahrheit spricht4.
Aber es steckt mehr dahinter, denn der Eid im Namen eines Gottes entsprach einer Formel des Glaubensbekenntnisses. So zeigt V. 12 auch die Universalität Jhwhs, der in einem fremden Land, im Land des Baal, angerufen wird. Um die Dramatik ihrer Situation noch zu verstärken, bringt die Witwe zum Ausdruck, dass ihr Leben und das ihres Sohnes mangels Nahrung dem Ende nahe ist: „Ich lese hier ein paar Stücke Holz auf und gehe dann heim, um für mich und meinen Sohn etwas zuzubereiten. Das wollen wir noch essen und dann sterben.“ (1 Kön 17,12b). Ihre Hoffnungslosigkeit ist so groß, dass sie nur noch auf den Tod warten können. Hier greift der Prophet ein: „13Elias aber antwortete ihm: „Elija entgegnete ihr: Fürchte dich nicht! Geh heim und tu, was du gesagt hast! Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck und bring es zu mir heraus! Danach kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten'“
Die Formel „fürchtet dich nicht“ gehört zu den Heilsorakeln und ist typisch für Deuterojesaja (vgl. ls 41,10.13.14; 43,1; 44,2). Sie spielt darauf an, dass die gegenwärtige hoffnungslose Situation in eine Quelle der Hoffnung für die Zukunft verwandelt werden kann5. Aber auch hier ist der Glaube gefragt.
Dem Diener Gottes zu dienen bedeutet zunächst, sein ganzes Vertrauen auf das göttliche Wort zu setzen, das durch seinen Propheten zum Ausdruck kommt, und nichts für sich selbst zu behalten, sondern alles auf den Gott Israels zu setzen:
„14 denn so spricht der HERR, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der HERR wieder Regen auf den Erdboden sendet. 15 Sie ging und tat, was Elija gesagt hatte. So hatte sie mit ihm und ihrem Haus viele Tage zu essen.“ (1Kön 17:14-15). Der letzte Rest an Nahrung, der nur für die Witwe und ihren Sohn reicht, ernährt auch den Propheten. Das gehorsame und fürsorgliche Verhalten der Witwe war die Voraussetzung dafür, dass das göttliche Wort die Not in Hoffnung verwandeln konnte. Das gesamte 17. Kapitel von 1. Könige dreht sich um das „Wort Jhwhs“ (V. 2. 5. 8. 16), das Elia mit der üblichen prophetischen Formel „so spricht Jhwh“ übermittelte, und um den Gehorsam der Personen, die ihm folgten6. Diese gesamte theologische Perspektive findet ihren Höhepunkt im letzten Vers der Episode, in dem der Autor die religiöse Bedeutung der Ereignisse als vollständige Erfüllung des Wortes des Herrn hervorhebt: “ 16 Der Mehltopf wurde nicht leer und der Ölkrug versiegte nicht, wie der HERR durch Elija versprochen hatte.“ (1Kön 17,16). Diese Schlussfolgerung zeigt, dass die Kräfte, die sich dem Leben widersetzen (Dürre, Isebel), der Macht Jahwes nicht standhalten können, der sich damit als Herr des Universums erweist. Und hier findet der von Anfang an dargestellte Kontrast seinen Abschluss: Während die Königin aufgrund der Dürre nicht in der Lage ist, ihre Untertanen zu sättigen, gelingt es der armen Witwe mit göttlicher Hilfe, ihre Familie und den Propheten zu ernähren7.
Mit Psalm 146 beginnt das „Kleine Hallel“ (Vv. 146-150), eine Reihe von Psalmen zum Lobpreis des Herrn; es wird Hallel genannt, weil es mit dem hebräischen Imperativ beginnt: hallelu’ya, das heißt, lobt den Herrn! Der für unsere heutige Liturgie gewählte Refrain stammt aus V. 1 und lautet: „Lobe den Herrn, meine Seele!“ (Ps 146,1). Nachdem in V. 2 der Lobpreis Gottes fortgesetzt wird, folgt in V. 3 eine Ermahnung: „3 Vertraut nicht auf Fürsten, nicht auf den Menschen, durch den es keine Rettung gibt!“ (Ps 146,3). Dann wird der Grund genannt, warum man nicht auf die Mächtigen dieser Welt vertrauen sollte: „4 Schwindet sein Lebensgeist, kehrt er zurück zur Erde, an jenem Tag sind seine Pläne zunichte.“ (Ps 146,4). Die Kürze ihres Lebens deutet auf die Widersprüchlichkeit ihrer Pläne hin. Deshalb sind die Mächtigen dieser Welt, so sehr sie auch zu herrschen scheinen, nur ein Hauch von ihnen. Vielmehr heißt es: „5 Selig, wer den Gott Jakobs als Hilfe hat, wer seine Hoffnung auf den HERRN, seinen Gott, setzt.“ (Ps 146,5).
In den V. 6-10a wird das Zeugnis des Gottes Israels vorgestellt, d.h. die Gründe, warum wir ihm vertrauen sollten: „6Er hat Himmel und Erde gemacht, das Meer und alles, was darin ist. Der erste Grund ergibt sich aus seinem souveränen Handeln über den Kosmos: Er hat Himmel und Erde, das Meer und alles, was existiert, geschaffen. Dieses göttliche Handeln demonstriert seine unendliche Macht, sein großartiges Handeln und seine universelle Herrschaft. Die folgenden Verse 6b bis 9 zeigen, dass dieser allmächtige Gott auf die besonderen Realitäten schaut, auf das Leid der Benachteiligten, die auf ihn vertrauen: „Er ist es, der Himmel und Erde erschafft, / das Meer und alles, was in ihm ist. Er hält die Treue auf ewig.[1] 7 Recht schafft er den Unterdrückten, / Brot gibt er den Hungernden, der HERR befreit die Gefangenen. 8 Der HERR öffnet die Augen der Blinden, / der HERR richtet auf die Gebeugten, der HERR liebt die Gerechten. 9 Der HERR beschützt die Fremden, / er hilft auf den Waisen und Witwen, doch den Weg der Frevler krümmt er.“ (Ps 146,6-9).
In diesen göttlichen Handlungen gibt es eine klare thematische Kontinuität zwischen der ersten Lesung und dem Psalm, die zeigt, dass niemand verlassen wird, der auf den Gott Israels vertraut.
Hier schließt V. 10 und bekräftigt Gottes unübertreffliche Herrschaft: „10Der HERR ist König auf ewig, dein Gott, Zion, durch alle Geschlechter. Halleluja!“ (Ps 146,10). (Ps 146,10). Schließlich sei noch auf die Beziehung zwischen der Wahrheit und dem göttlichen Reich hingewiesen: So wie Gott seine Wahrheit (‚emet) in Ewigkeit bewahrt (Ps 146,6), so währt sein Reich von Generation zu Generation (Ps 146,10); a’emet (Wahrheit) bedeutet für die Juden zugleich: „Beständigkeit“, „Treue“ und „Wahrheit“8. Daher ist a’emet die Eigenschaft von jemandem, der absolut zuverlässig ist9, d.h. Gott selbst, der absolut „stabil“, „treu“ und „wahr“ ist.
In der zweiten Lesung befinden wir uns in dem Abschnitt des Hebräerbriefs, in dem der Autor Christus als den vollkommenen Priester vorstellt und erklärt, worin diese Vollkommenheit besteht und welche Konsequenzen sie für das Leben der Gläubigen hat. Nachdem er über die Unvollkommenheit des alten Gottesdienstes (vgl. Hebr 8,1-6), die Unvollkommenheit des alten Bundes (vgl. Hebr 8,7-13) und die Unwirksamkeit der im Tempel von Jerusalem dargebrachten Opfer (vgl. Hebr 9,1-10) nachgedacht hat, erklärt der Autor, warum das von Christus dargebrachte Opfer vollkommen ist (vgl. Hebr 9,11-14) und wie er durch dieses Opfer zum Mittler des Neuen Bundes wurde (vgl. Hebr 9,15-22). In der zweiten Lesung dieses Sonntags finden wir uns im letzten Abschnitt dieses Kapitels wieder, in dem es heißt: „24 Denn Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen für uns;“ (Hebr 9,24). In diesem Vers stellt der Autor die unmittelbare Folge der Annahme Christi dar: in unserem Namen vor dem Vater zu stehen. Das bedeutet, dass die Mission Christi, die er auf der Erde erfüllt hat, durch die Fürbitte für die Seinen weitergeht. In den Versen 25 bis 28a wird das wirksame Handeln Christi dargestellt: „25 auch nicht, um sich selbst viele Male zu opfern, wie der Hohepriester jedes Jahr mit fremdem Blut in das Heiligtum hineingeht; 26 sonst hätte er viele Male seit der Erschaffung der Welt leiden müssen. Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen. 27 Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, 28 so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen“ (Hebr 9,25-28a). V. 10b zeigt genau das ganze Ausmaß des Geheimnisses Christi. Er hat sich nicht nur selbst geopfert und damit unsere Sünden beseitigt, sondern er tritt auch weiterhin beim Vater für uns ein und „wird ein zweites Mal ohne Sünde denen erscheinen, die auf ihn warten, um gerettet zu werden“ (Hebr 9,10b). Auf diese Weise verweist der Autor auf die glorreiche Wiederkunft Christi, nicht mehr, um die Sünde zu beseitigen, die bereits ein für alle Mal beseitigt ist, sondern um sein Heil universell und endgültig zu verbreiten. In der Terminologie von Psalm 146 ist in Christus das göttliche ‚emet, denn in ihm erfüllt sich die „Beständigkeit“, die „Treue“ und die „Wahrheit“ des Heils für uns.
Und so kommen wir zum Evangelium. Wir befinden uns in den letzten Tagen des irdischen Lebens Jesu, in denen der Herr viele Reibereien und Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern erlebt. Soeben sprach Jesus über das größte Gebot (Mk 12,28-34) und über die Überlegenheit des Messias gegenüber David (Mk 12,35-37) und ließ seine Gegner verstummen10.
Es ist bemerkenswert, dass Jesus nicht aufhört zu lehren. Er nutzt jede Gelegenheit, sei es die Schwäche seiner Jünger oder die Schlechtigkeit seiner Gegner, um die göttliche Lehre zu vermitteln.
Die heutige Lesung aus dem Evangelium ist in diesem Kontext angesiedelt. Der Meister fährt fort, der Menge, die ihm bereitwillig zuhört und für seine Botschaft empfänglich ist, seine Lehre vorzuschlagen; zunächst fordert er sie auf, sich vor dem unehrlichen Verhalten der Schriftgelehrten zu hüten, die stolz und anmaßend sind (V. 38-40); dann verweist er, auch wegen der früheren Ermahnung an die Begehrlichkeit der Häuser der Witwen (V. 40), auf das Beispiel der Witwe, die alles verschenkt, was sie hat (V. 41-44)11. Die beiden Teile des heutigen Evangeliums sind durch den Begriff der Witwe miteinander verbunden. Außerdem wird ein Kontrast zwischen den Schriftgelehrten, den Reichen und der Witwe geschaffen, der uns an alles erinnert, was wir bisher in der Liturgie gehört haben.
Im ersten Teil des Evangeliums heißt es: „38U Er lehrte sie und sagte: Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt, 39 und sie wollen in der Synagoge die Ehrensitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. 40 Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete.“ (Mk 12,38-40a). Zunächst trifft die Kritik den Stolz der Schriftgelehrten, die gerne wahrgenommen und beachtet werden wollen. Dann spricht Jesus von diesem Verschlingen der Häuser der Witwen. Der Ausdruck ist gleichbedeutend mit unrechtmäßiger Aneignung von Eigentum. Es ist jedoch nicht klar, auf welche Weise sie dies taten. Haben sie ihren Rat angeboten und im Gegenzug ein exorbitantes Honorar verlangt?12 Es folgt noch ein weiteres Merkmal ihres Handelns: „Sie simulieren lange Gebete“. Der Text scheint die Ausbeutung der Witwen mit dem Vorwand der langen Gebete zu verbinden. Wenn dies der Fall wäre, würde ihr Verhalten noch verdorbener werden, da sie die Ausbeutung mit langen und heuchlerischen Gebeten verbinden würden13. Das Urteil Jesu ist direkt: „Umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.“ (Mk 12,40b).
Wir gehen dann zum zweiten Teil des Evangeliums über: „Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. 42 Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein.“ (Mk 12,41-42). Jesus befindet sich in der Umgebung des Tempels, im ersten Hof gleich nach dem Eingang, der als „Hof der Frauen“ bekannt ist, weil er für sie reserviert war. Es war der obligatorische Durchgang für alle, die die Innenhöfe der Männer und Priester und den Tempel selbst betreten wollten. Im Hof der Frauen befanden sich zahlreiche Räume, die für verschiedene Zwecke genutzt wurden, z. B. zur Aufbewahrung von heiligen Gefäßen und Kleidern, zur Lagerung von Wein-, Öl- und Weihrauchvorräten sowie zur Aufbewahrung von echten Silber- und Goldtresoren. Die jüdischen Texte beschreiben auch das Vorhandensein von dreizehn Kästen, die wegen ihrer besonderen Form „Trompeten“ genannt wurden; sie dienten dazu, die Opfergaben der Gläubigen einzusammeln, die vor allem zu Pessach in großer Zahl in den Tempel kamen14.
Es besteht ein starker Kontrast zwischen den Reichen und der Witwe. Während letztere viele Münzen werfen, wirft sie zwei Lepton, die kleinste Kupfermünze, und offenbart damit ihre bittere Armut. Da sie ein Lepton für sich selbst hätte behalten können, unterstreicht ihre Geste ihre Großzügigkeit15. Siehe, Jesus ruft die Jünger zu sich, er spricht nicht mehr zu den Menschenmengen, und sagt zu ihnen: “ Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. 44 Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“. (Mk 12,43-44). Erneut wird ein Gegensatz zwischen den Schriftgelehrten und der Witwe hergestellt.
In der ersten Szene handeln die Schriftgelehrten, um gesehen zu werden, die Witwe bietet Gott die Gabe im Verborgenen an.
Die Schriftgelehrten beuten aus, die Witwe verschenkt alles, was sie hat. Den Schriftgelehrten spricht Jesus ein Urteil der Verurteilung aus. Der Witwe spricht Jesus ein Urteil der Erhöhung zu. Die Schriftgelehrten wollen lehren und werden von Jesus zurechtgewiesen, während die Witwe den Jüngern Jesu eine grundlegende Lehre bringt.
Wir stehen an der Schwelle zum Tod Christi, wo er sich ganz hingeben wird; in diesem Zusammenhang wird die Geste der Witwe als Vorahnung dessen dargestellt, was Christus am Kreuz vollkommen vollbringen wird. Dieser Wortgottesdienst erinnert uns daran, dass Gott nichts verborgen bleibt, weder unsere Leiden noch unsere Opfergaben. Die Witwe, die dem Propheten Elia begegnete, hatte guten Grund, das göttliche Wort zu verleugnen, ihm nicht zu gehorchen. Sie hatte nur noch das Nötigste zu essen, um ein paar Tage zu überleben. Hätte sie nicht gehorcht und auf sich selbst vertraut, wäre sie mit Sicherheit gestorben, sie und ihr Sohn. Aber weil sie gehorchte, verlor sie nicht nur nichts, sondern gewann alles: ihr Leben, ihren Sohn, ihren Glauben… Aber was geschah mit der Witwe im Evangelium? Der Text von Markus sagt es uns nicht, aber die Heilige Schrift tut es. Sie deponierte alles, was sie hatte. Sie vertraute lieber auf Gott als auf sich selbst. Wir haben die Gewissheit, dass ihr Opfer von Gott mit den Augen Christi „gewogen“ wurde. Wir wissen, dass „Der HERR beschützt die Fremden, / er hilft auf den Waisen und Witwen“ (Ps 146,9).
Lassen auch wir uns von dieser Liturgie inspirieren und unser Leben vor den Herrn bringen. Erlauben wir ihm, unsere Schritte zu lenken. Wir sollten unser Vertrauen in uns selbst ablegen und uns Gott anvertrauen, der für uns sorgt. Amen!
Elton Alves, Missionar der Lebensgemeinschaft der Kath. Gemeinschaft Shalom, Verheiratet, Theologe und promovierender in der Theologischen Fakultät in Lugano, Schweiz.
[1] Cf. P. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, San Paolo, Cinisello Balsamo 2020, 189.
[2] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 191.
[3] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 191.
[4] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 193.
[5] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 192.
[6] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 192.
[7] Cf. Merlo, Re, introduzione, traduzione e commento, 193.
[8] Cfr. H. Lesétre, in Vigouroux, «Vérité», 2398-2400.
[9] Cfr. A. Jepsen, «אָמַן, ‚āman», in H. Ringgren – G. J. Botterweck , GLAT, I, Paideia, Brescia 1988, 669.
[10] Cf. M. Orsatti, Servitori della Parola: Commento alle letture festive dell’anno B, Queriniana, Brescia 2011, 309.
[11] Cf. Orsatti, Servitori della Parola: Commento alle letture festive dell’anno B, 309.
[12] Cf. J. Gnilka, Marco, Cittadella, Assisi 2007, 677.
[13] Cf. J. Gnilka, Marco, Cittadella, Assisi 2007, 677.
[14] Cf. Orsatti, Servitori della Parola: Commento alle letture festive dell’anno B, 309.
[15] Cf. J. Gnilka, Marco, Cittadella, Assisi 2007, 681.