“Es saßen viele Leute um Jesus herum” (Mk 3,32)
Die Liturgie dieses 10. Sonntags im Jahreskreis erzählt von der durch die Sünde verursachten Entfernung von Gott und der Entfremdung von seiner Stimme und der göttlichen Verheißung der Gemeinschaft in Christus Jesus.
In der ersten Lesung (Gen 3,9-15), die dem Buch Genesis entnommen ist, sehen wir den Bericht über die Erbsünde, die Ungehorsam gegenüber der Stimme Gottes war. Die Frucht dieser Sünde ist, dass der Mensch sich vor Gott versteckt und sich vor seiner Stimme fürchtet. So antwortet Adam auf den göttlichen Ruf: „Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.“ (V.10). Die zweite Folge der Sünde ist, dass der Mann der Frau die Schuld gibt und die Frau wiederum der Schlange. Mit anderen Worten, die Sünde erzeugt in uns einen Mechanismus, der uns von unserer eigenen Verantwortung befreit und die Schuld auf den anderen schiebt. Aber noch überraschender ist die Tatsache, dass der erste, der beschuldigt wird, Gott ist, denn Adam sagt: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben.“ (V.12). Anstatt die Verantwortung für seine eigene Sünde zu übernehmen, gibt Adam Gott die Schuld, weil er die Frau an seine Seite gestellt hat und sie ihm die Frucht des Baumes gab. Angesichts eines Abschnitts, in dem Unordnung und Böses um sich greifen, ist es Gottes Wort, das Licht in dieses Bild bringt.
„Die Sünde erzeugt in uns einen Mechanismus, der uns von unserer eigenen Verantwortung befreit und die Schuld auf den anderen schiebt.“
Zunächst fragt Gott die Schlange nicht, warum sie die Frucht des verbotenen Baumes angeboten hat, sondern spricht die Schlange direkt an und spricht bereits ein Urteil: „Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch wirst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens.“ (V.14). In den von Gott gesprochenen Worten finden wir die Verurteilung des Bösen und die völlige Unvereinbarkeit zwischen Gott und dem Bösen, symbolisiert durch die Schlange. Dann spricht das göttliche Wort ein Heilsversprechen für die gefallene Menschheit aus: „Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ (V. 15). Hier sollten wir ein grundlegendes Element der biblischen Exegese beachten. Sowohl in der hebräischen Bibel als auch in der griechischen Bibel des Alten Testaments steht das maskuline Pronomen „Er trifft dich am Kopf“. Auf wen beziehen sie sich? Die Texte beziehen sich auf den Messias, der aus der Nachkommenschaft der Frau geboren werden sollte. Die göttliche Verheißung bezieht sich also auf den Sieg des Messias über das Böse.
Psalm 129 erzählt ebenfalls von dieser Finsternis, in der sich der Mensch befindet, und hat eine tiefe Beziehung zur ersten Lesung, denn er handelt von den Fehlern, die der Mensch begeht, und der göttlichen Vergebung, die erwartet wird. So sagt der Text: „Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: 2 Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. 3 Würdest du, HERR, die Sünden beachten, mein Herr, wer könnte bestehn?“ (Vv. 1-3).
Einige Elemente in diesem Psalm erinnern uns an die Hoffnung. Erstens das Gebet: Der Psalmist wendet sich in seiner Angst an Gott, im Gegensatz zu Adam, der sich vor Gott versteckt hat. Das Gebet ist das große Geheimnis der Hoffnung, die nur dann echt sein kann, wenn sie Gott als Stütze und Unterhalt hat, denn wie der Psalmist singt: „beim HERRN ist Erlösung in Fülle.“ (v. 7). Es ist schön zu sehen, dass das Gebet des Psalmisten, das in einem persönlichen und privaten Ton beginnt, dann mit einer Einladung an ganz Israel beginnt: „Meine Seele wartet auf meinen Herrn mehr als Wächter auf den Morgen, ja, mehr als Wächter auf den Morgen. 7 Israel, warte auf den HERRN, denn beim HERRN ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle. 8 Ja, er wird Israel erlösen aus all seinen Sünden.“ (V. 6-8).
„Das bedeutet, dass das Gebet, auch wenn es auf persönliche Weise verrichtet wird, seine Wirkung in der Gemeinschaft nicht verfehlt, in diesem Fall die Hoffnung für Israel und die Gewissheit des Erlasses der Schuld.“
In der zweiten Lesung (2 Kor 4,13-18-5,1) geht es dem heiligen Paulus um die göttliche Verheißung, die über den Horizont dieses gegenwärtigen Lebens hinausgeht. Denn, so der Apostel: „Denn wir wissen, dass der, welcher Jesus, den Herrn, auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch vor sich stellen wird.“ (V. 14). An der Seite Jesu zu sein, mit ihm, ist die Erfüllung der göttlichen Verheißungen. Deshalb ermahnt er die Gläubigen, ihre Augen über dieses irdische Leben hinaus zu richten, denn es besteht ein großes Missverhältnis zwischen den Sorgen der gegenwärtigen Zeit und der zukünftigen Herrlichkeit. „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. 17 Denn die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit“ (V. 16-17).
Warum beharrt der Apostel darauf, die Gläubigen zu ermutigen? Die Antwort liegt in der Tatsache, dass die göttlichen Verheißungen ihre volle Verwirklichung in dem Leben finden, das uns jenseits der gegenwärtigen Zeit geschenkt werden wird, wohin die Sinne nicht gelangen können. Vielmehr erreicht der Glaube das Unsichtbare und wir sind aufgerufen, an „Gott, den Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Dinge“ zu glauben. Deshalb ermahnt Paulus die Christen in Korinth mit der richtigen Sicht, die der Glaube uns gewährt:
„Wir, die wir nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare blicken; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig.“ (V. 18).
Genauer gesagt, lädt Paulus die Christen ein, auf das Werk zu schauen, das Gott selbst tut. „Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.“ (2 Kor 5,1). Weil Gott selbst der Erbauer dieses Werkes ist, ist es ewig, es ist sicher, es ist wert, geglaubt und gehofft zu werden.
Das Evangelium dieses Sonntags stellt uns einige Punkte vor, die nicht sofort verständlich sind, die aber gleichzeitig die Quelle tiefgründiger Lehren sind (Mk 3,20-35). Jesus ist mit seinen Jüngern zu Hause und versammelt so viele Menschen um sich, dass sie nicht einmal essen konnten (V.20). Die erste Schwierigkeit findet sich in V. 21, wo es heißt: „Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“. Auf den ersten Blick scheint der Text zu deuten, dass die Verwandten von Jesus behaupteten, Jesus sei außer sich. Im Griechischen steht die Pluralform jedoch oft für eine unpersönliche Handlung, so dass es auch übersetzt werden kann mit: es wurde gesagt; in diesem Fall gingen die Verwandten von Christus zu ihm, wegen dem, was über ihn gesagt wurde. So würde das Kommen der Verwandten nicht auf eine Konfrontation mit Jesus hindeuten, sondern eher auf eine Sorge um ihn (Vgl. B. Prete, I Quattro Vangeli, BUR, Mailand 2008, 373).
Dann kommt es zu einer echten Konfrontation. „Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ (V. 22). Konfrontiert mit diesen perversen Gedanken, stellt Jesus ihnen eine einfache logische Frage: „Wie kann der Satan den Satan austreiben? 24 Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. 25 Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.“ (V. 24-25). Nachdem er nun das Prinzip des Nicht-Widerspruchs angewandt hat, spricht Jesus zu seinen Gesprächspartnern starke Worte: „Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; 29 wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.“ (V. 28-29). Lassen Sie uns diese Worte Jesu ein wenig näher erklären. Der Begriff Lästern, vom Verb βλασφεμεῖν, bedeutet: verleumden, diffamieren, schlecht reden, und bezeichnet in diesem Zusammenhang eine besondere Sünde, nämlich: dem Satan, dem Geist des Bösen schlechthin, das zuzuschreiben, was das Werk des Heiligen Geistes, des Prinzips alles Guten, ist.
Der Kontext des Markusevangeliums hilft uns, ein weiteres Verständnis zu haben. Dieses Evangelium hat in ganz besonderer Weise die Identität Jesu Christi als Sohn Gottes zum zentralen Thema (Mk 1,1). Zu diesem Zweck konzentriert sich Markus auf die Heilungen, die Christus vollbrachte, weil sie ein Unterscheidungsmerkmal für sein Handeln und die Gewissheit sind, dass Gott durch ihn handelt. Davon bekannten sogar die Dämonen: „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.“ (Mk 1,24). Außerdem haben wir kurz vor dem Abschnitt, den wir an diesem Sonntag lesen, den Bericht über mehrere Heilungen, die Christus vollbrachte, und über Dämonen, die er austrieb: „Und es kamen Scharen von Menschen zu ihm, als sie hörten, was er tat. 9 Da sagte er zu seinen Jüngern, sie sollten ein Boot für ihn bereithalten, damit er von der Menge nicht erdrückt werde. 10 Denn er heilte viele, sodass alle, die ein Leiden hatten, sich an ihn herandrängten, um ihn zu berühren. 11 Wenn die von unreinen Geistern Besessenen ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder und schrien: Du bist der Sohn Gottes! 12 Er aber gebot ihnen, dass sie ihn nicht bekannt machen sollten.“ (Mk 3,8-12).
Nur in diesem Kontext können wir die Härte der Worte Jesu verstehen. Der Ausdruck, obwohl an sich sehr kraftvoll und absolut, bedeutet nicht, dass Lästerung gegen den Heiligen Geist von Gott nicht vergeben werden kann, sondern dass ein Mensch, der darauf beharrt, die Werke des Heiligen Geistes zu leugnen, sich selbst in den Zustand versetzt, dass ihm nicht vergeben werden kann. Der heilige Thomas von Aquin erklärt den Text des Evangeliums damit, dass die Sünde gegen den Geist irreversibel ist, weil der Mensch durch sie das ausschließt, was ihn zur Vergebung der Sünden disponiert (vgl. Summa Theologiae, II-II, q. 14, a. 3). Wer wie die Schriftgelehrten hartnäckig taub ist für die Rufe der Gnade, wird keine Vergebung seiner Schuld erlangen können. (Vgl. B. Prete, I Quattro Vangeli, BUR, Mailand 2008, 375).
Der Schluss dieses Evangeliums führt uns zurück zur ersten Lesung und bringt die Liturgie des Wortes zu einem schönen Ende. Jesu Mutter und seine Brüder treffen ein, und jemand sagt zu ihm: „Deine Mutter und deine Brüder sind draußen und suchen dich“ (V. 32). Und Jesus antwortet, an alle gerichtet: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? 34 Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. 35 Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Vv. 33-35). Zweimal besteht der Evangelist auf der Tatsache, dass die Menschen um Jesus herum sitzen (V. 32 und 34), eine typische Mahlposition. In der hebräischen Welt ist die Mahlzeit der Ort der Gemeinschaft, der Ort der Familie. Doch was ist die Nahrung, von der sie sich ernähren? Über das göttliche Wort, das von Christus ausgesprochen wird. Siehe, die Gemeinschaft des Menschen mit Gott, verloren und verheißen in Gen 3, findet ihre Erfüllung und ihren endgültigen Zustand in Christus. Indem wir auf das Wort Christi hören und es annehmen, finden wir das Heilmittel für Adams Ungehorsam. Auf diese Weise stellt das heutige Evangelium zwei Positionen gegenüber: auf der einen Seite die der Schriftgelehrten, die Christus widerstehen und in ihrer Sünde verharren; auf der anderen Seite die Position derer, die sich um Christus herum platzieren, um auf sein Wort zu hören.
Deshalb passt am Ende dieser Betrachtung eine Frage: Wie war meine Haltung vor der göttlichen Stimme? Wie uns der Autor des Hebräerbriefs unter Bezugnahme auf Ps. 94 lehrt: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet nicht eure Herzen“ (Hebr. 3,7-8).
Elton Alves, Missionar der Lebensgemeinschaft der Kath. Gemeinschaft Shalom in Deutschland.